wikileaks.pngDer April 2010 scheint ein guter Monat für das „whistleblower"-Projekt Wikileaks zu sein. Am 5. April veröffentlichen die Macher eine Videoaufnahme des US-Militärs. Das Video wurde im Juli 2007 aus einem Apache-Kampfhubschrauber heraus aufgenommen und zeigt wie eine Gruppe von Zivilisten im Irak angegriffen und getötet wurden. Darunter waren auch zwei Mitarbeiter der Nachrichten-Agentur Reuters. Bei Youtube wurde der Film sechs millionenfach aufgerufen.

Weltweit stand plötzlich wieder Wikileaks im Fokus des öffentlichen Interesses. Und in den Medien durfte  jener mysteriöse Julian Assange (Foto New Media Days) das Projekt und seine Bedeutung für den investigativen Journalismus ausführlich vorstellen. Der betont dabei die Bedeutung von Wikileaks für eine transparente und demokratische Gesellschaft - doch das scheint nicht für sein Projekt zu gelten. Ein Grund genug Wikileaks noch einmal genauer und kritisch zu beleuchten.

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Trotz all der positiven Presse - die Spendenaktion zugunsten von Wikileaks läuft nach eigenen Angaben nur langsam vorwärts. Ende Februar waren danach 360.000 USD zusammen gekommen, sechs Wochen später sind es nur zehntausend Dollar mehr geworden. Das könnte an der dürftigen Transparenz des Projektes selbst liegen.

Wie gemeinnützig ist eine Geheimorganisation?
Bereits über die Organisationsform kann man nur spekulieren. Wikileaks schreibt dazu: „Sunshine Press (Wikileaks) ist eine gemeinnützige Unternehmung, die von Menschenrechtsaktivisten, investigativen Journalisten, Technologen und der interessierten Öffentlichkeit gegründet wurde." Doch in welchem Land die Organisation ihren Sitz hat, wie sich die Gemeinnützigkeit eigentlich definiert, wie man Mitglied werden kann, darüber schweigt Wikileaks sich aus.

Ein Beirat in dem (fast) niemand Mitglied sein will
Im vorigen Beitrag „Wikileaks Sündenfall" hatte ich darüber geschrieben, dass es dem Projekt bisher nicht gelungen wäre, namhafte Persönlichkeiten für einen Beirat zu gewinnen, der dem Projekt einen Hauch von Seriosität geben könnte. Tatsächlich hatte Wikileaks zu früheren Zeiten behauptet, solch einen Beirat (Advisory Board) zu besitzen. Doch seit längerem sind alle Hinweise darauf von der Webseite getilgt.

benlaurie.jpgJenem angeblichen Beirat sollten neben Julien Assange, Phillip Adams, Wang Dan, Ben Laurie, Tashi Namgyal Khamsitsang, Xiao Qiang, Chico Whitaker und Wang Youcai angehören. Doch auf Nachfrage weiß kaum einer dieser Persönlichkeiten etwas davon.

Zum Beispiel Tashi Namgyal Khamsitsang, ein ehemaliger Vertreter des Dalai Lama, erklärte auf Nachfrage, dass er niemals seine Zustimmung gegeben hätte.

Oder Ben Laurie (Foto rechts von dsearls), ein Gründungsdirektor der „Apache Software Foundation", der in seinem Blog Stellung bezieht: „...ich stehe nicht hinter Wikileaks. Ich halte das Projekt für eine gute Idee und ich habe mal einen Kommentar zu einem frühen Entwurf der technischen Infrastruktur gemacht. Jeder denkt, das wäre ein Trick, um mich vom Projekt zu distanzieren, aber das ist wirklich so."

Auch Phillip Adams stand dem Projekt niemals zur Verfügung, er sagte auf Grund von Arbeitsüberlastung und gesundheitlichen Problemen ab.

Nur CJ Hinke erklärte öffentlich, dass er hin und wieder bei der Veröffentlichtlichung von Dokumenten beratend mitgewirkt hätte. Mit der Arbeit eines Beirats hatte das allerdings nichts zu tun.

Im Nebel der Geheimdienste
Die Idee zu Wikileaks soll 2006 über eine private Mailing-Liste entstanden sein, die Julian Assange und ein paar Mitstreiter unterhielten. Anfänglich involviert war auch John Young, Gründer der Whistleblower-Seite Cryptome.org. Der registrierte die Seite wikileaks.org auf Bitten der Macher zunächst auf seinen Namen, überwarf sich kurze Zeit später aber mit den Aktivisten. Er warf Wikileaks vor, Teil einer CIA-Operation zu sein und veröffentlichte auf cryptome.org den Mailverkehr des Projekts.

Julian Assange dagegen fühlt sich eher als Opfer denn als Helfershelfer der Geheimdienste. In Kenia wäre er von sechs mit Pistolen bewaffneten Männern in einem bewachten Haus überfallen worden. Er hätte sich irgendwie retten können. In Luxemburg wäre ein guter Freund von einem geheimnisvollen Fremden in „seinem eigenen Interesse" zu einem Treffen animiert worden. Und schließlich wäre er in Island vom US-amerikanischen Geheimdienst überwacht worden. Da passt es dazu, dass Wikileaks im März ein Dokument veröffentlichte, in dem ein amerikanischer Geheimdienst Maßnahmen diskutierte, Wikileaks den Garaus zu machen.

Doch wirklich ernsthaft haben sich die Geheimdienste Wikileaks offensichtlich noch nicht vorgenommen. Ben Laurie meint dazu, dass Wikileaks keinem der Informanten wirkliche Sicherheit garantieren könne: „Wenn es gegen Regierungen geht, haben die viele Ressourcen zur Hand. Die technischen Möglichkeiten, über die Wikileaks verfügt, sind nicht sicher genug, um diesen Ressourcen zu widerstehen."

Eine Spur führt zur Piratenbucht
Irgend jemand muss ja auch die Arbeit machen. Julian Assange und Daniel Schmitt sind mit der Öffentlichkeitsarbeit des Projekt völlig beschäftigt. Wer veröffentlicht eigentlich die eingereichten Informationen, wer ist für die technische Infrastruktur zuständig?

Fredrik-neij.jpgGottfrid.jpgEine Antwort gibt die IP-Adresse von wikileaks.org - 88.80.13.160. Die ist auf den schwedischen Hoster prq Inet registriert. Die Firma hostet nach eigenen Angaben alles, was nicht gegen schwedische Gesetze verstößt und kümmert sich kaum um die persönlichen Angaben ihrer Auftraggeber. Gegründet wurde die Firma von Gottfrid Svartholm (Foto rechts) und Fredrik Neij (Foto ganz rechts), beide sind Mitgründer von „The PirateBay"(Fotos: Notwist).

Die Piratenbucht hat in der Vergangenheit bereits immer wieder die Arbeit von Wikileaks unterstützt, zuletzt auch deren Spendenkampagne. Aus gutem Grund - irgendjemand muss ja auch die technische Infrastruktur und die Unmengen an Traffic bezahlen, die das Projekt Wikileaks verursachte. Es erscheint durchaus möglich, dass der Piraten-Hoster hier beachtlich in Vorleistung getreten ist und irgendwann auch Geld sehen will.

Geschichten aus zweitausend und einer Nacht
Fünf ehrenamtliche Vollzeitkräfte sollen für Wikileaks im Augenblick arbeiten. Vier davon könnten in diesem Text genannt sein. Alle anderen Informationen des Projekts, wie die über die Gründungsmitglieder, die Gemeinnützigkeit, das Advisory Board (Beirat) und über die angeblich so sichere technische Infrastruktur kann man getrost der Sagenwelt von "Zweitausend und einer Nacht" zuordnen. Kein guter Ausgangspunkt für die Seriosität der Initiative.

Im Spannungsfeld von Regierungen, wirtschaftlichen Interessen der Hochfinanz,  Geheimdiensten und Justiz dürfte es schwer werden, die Initiative als dauerhafte und seriöse Institution zu erhalten. Für Wikileaks gilt wie für alle anderen Medien - die eigene Glaubwürdigkeit fällt nicht vom Himmel, sondern muss über Jahre erarbeitet werden. Und nur dann sind die Menschen auch bereit, solch ein Projekt in ausreichendem Maße finanziell auszustatten.

Die Macher der Piratenbucht sind durchaus ernst zu nehmende, politisch denkende Weltbürger. Ohne etwas Subversivität, Konspiration und Verschwiegenheit wären sie längst von der Medienindustrie weggefegt worden. Doch diese Eigenschaften sind für ein Projekt wie Wikileaks dauerhaftes Gift. Ohne ein transparentes & seriöses Kontrollgremium, ohne ein klar formuliertes ethisches Grundgerüst  bleibt es eine gute Idee.