In Baschkiristan gibt es ein größeres Dorf mit dem schönen Namen Karaidel. Es liegt über 200 km von der Hauptstadt der Republik entfernt und hat mehr als 6.000 Einwohner. Aus diesem Dorf kam Murad Abdurakhmanowitsch Gafurow, sein Alter ist uns nicht bekannt. Murad musste keinen Wehrdienst leisten, beruflich erfolgreich war er auch nicht. Er arbeitete in einem kleinen Sägewerk und verdingte sich als Wachmann. Aber hatte geheiratet und vier Kinder gezeugt.
Kein Wunder dass Murad irgendwann mal richtiges Geld verdienen wollte. Am 17. Juni 23 schloss er einen Vertrag mit der Gruppe Wagner und sollte am Krieg gegen die Ukraine teilnehmen. Er hatte Glück - bereits am 17. Juli wurde er aus gesundheitlichen Gründen nach Hause geschickt.
Doch Murad forderte sein Schicksal heraus - am 15. Dezember 23 schloss er erneut einen Vertrag mit dem Militär und zog in den Krieg. Bereits am 17. Januar 24 war er tot. Seine Rückreise dauerte erheblich länger. Erst am 5. Mai wurde er bestattet.
Der 57-jährige Juri Galuschko soll am 4. Mai in der Region Donezk sechs russische Kollegen erschossen haben. Nach der Tat soll er mit der Tatwaffe - ein AK-12-Sturmgewehr mit Schalldämpfer und Munition - geflüchtet sein und wird jetzt in allen Grenzregionen gesucht. Juri Galuschko stammt aus dem ukrainischen Charkiw, hatte eine russische Frau geheiratet und lebte mit russischem Pass in Belgorod. Soweit waren sich alle Meldungen einig, danach aber nicht mehr.
Die meisten russischen Medien schreiben, dass Galuschko aus einer Haftanstalt rekrutiert worden wäre, Belege dafür gäbe es noch nicht.
Andere schreiben, dass er ein Bücherwurm sei und Geld für eine Augen-OP brauchte, weil er sonst Gefahr liefe zu erblinden. Deshalb wäre er zum Militär gegangen. Seine Mutter lebe noch in Charkiw und hätte auf Grund eines russischen Bombenangriffs einen Infarkt erlitten.
In einem sind sich alle Schreiberlinge wieder einig: Der Mann wird versuchen, sich auf die ukrainische Seite hinüberzuschleichen.
Immer wieder finden wir gefallene Soldaten aus den ersten Kriegsmonaten in regionalen Zusammenstellungen, die wir bisher nicht erfasst haben. Hier ein Beispiel:
Alexej Sergejewitsch Golowlew wurde am 23. Dezember 1991 in Lesosawodsk, Region Primorje geboren. Meldete sich freiwillig zum Kriegseinsatz. Am 15. April 22 war sein erster Einsatz, am 23. April 22 war sein letzter Einsatz.
Im Dorf Sukpai gedenkt man dem ehemaligen Schüler Waleri Anatoljewitsch Sawin. Er ist im Krieg gegen die Ukraine gefallen. Der Mann war 39 Jahre alt, eine Ausbildung hatte er nicht, dafür meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Wenn man sich den Zeitablauf anschaut, dann ist Waleri nur zum Sterben in den Donbass gereist. Am 27. Februar 23 unterschrieb er einen Vertrag, danach die lange Reise von ganz im Osten in den Westen Russlands, weiter in den Donbass. Selbst mit dem Flugzeug kann das dauern. Am 10.03.23 hatte man bereits den Kontakt mit ihm verloren. Dafür brauchte er für die Rückreise länger. Am 11.11. hat man ihn begraben. Den Schülern erzählt man aber keine wahren Gruselgeschichten, dafür lieber die Märchen vom Helden. Auch Waleri bekam einen Heldenschreibtisch.
06.05.24
Der Unternehmer und Blogger Konstantin Petrow besuchte die Stadt Murmansk ganz im Norden Russlands. Er veröffentlichte Ende April ein Video seiner Reise, in dem er über seine Eindrücke nach einem Stadtrundgang spricht. In den Aufnahmen fragte Petrow, wann Exkursionen aufhören würden, Schlachtstätten und Grabdenkmäler zu zeigen? Das hätte er besser nicht fragen sollen.
In den sozialen Medien wurde er als "falscher Russe" und Feind tituliert, der Gouverneur der Region schaltete sich ein und meinte, solche Besucher brauche die Region nicht.
Konstantin Petrow reagierte darauf, dass er lediglich die Idee vermitteln wollte, dass man auf die positiven Aspekte des Lebens achten solle und diese zu würdigen wisse. Das half überhaupt nicht. Bewohner der Stadt hielten das Taxi an, mit dem Petrow zum Flughafen fahren wollte und forderten den Fahrer auf, seinen Passagier abzusetzen. Das passierte dann auch.
"„Warum sind solche Nichtmenschen immer noch auf freiem Fuß?“ fragten Nutzer der russischen sozialen Medien. Wahrscheinlich nicht mehr lange. Ein Untersuchungsausschuss hat ein Strafverfahren eröffnet. Petrow drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis.
06.05.24
Wir hatten schon mehrfach über Fälle berichtet, bei denen verurteilte Verbrecher plötzlich zu Helden mutierten, weil sie im Krieg gegen die Ukraine getötet wurden. Diese Vorbilder wurden dann in ihren Heimatgemeinden öffentlich geehrt. Es gibt zumindest einen gegenteiligen Fall.
Die Stadt Gubkin liegt in der Region Belgorod und hat knapp 90.000 Einwohner. Die dortige Verwaltung verweigerte einem Kriegstoten die Bestattung in der Allee der Helden.
Juri Leonidowitsch Melnik hatte bereits eine Vorstrafe als er im Jahr 2019 wegen Besitzes eines Mosin-Gewehrs, eines PPSh-Sturmgewehrs, eines Jagdgewehrs, von TNT-Blöcken und verschiedener Waffenbestandteile, sowie wegen des Kaufs von Mephedron vor Gericht stand. Er wurde zu einer Haftstrafe von 1,5 Jahren verurteilt.
Der Anwalt des Toten ging mit dem Fall an die Öffentlichkeit: "Wer hat dem Bürgermeister die Befugnis erteilt zu bestimmen, wer ein Held ist und wer nicht? Anscheinend sind wir auch nach dem Tod alle unterschiedliche Soldaten und unser Vaterland ist wahrscheinlich anders, da es „seine“ Söhne unterschiedlich behandelt. Ich möchte wirklich, dass das ganze Land und nicht nur der Präsident seine bürokratischen „Helden“ kennt."
Wladimir Lunin stammte aus einem Dorf in der Region Tjumen. Geboren 1998 strebte er eine schnelle militärische Karriere an. Nach der Schule ging es zur höheren Militäringenieurschule Tjumen. Die schloss er als Maschinenbauingenieur ab im Rang eines Leutnants. Von Tjumen wurde er in den fernen Osten in die Region Amur versetzt und nach einem Jahr dort ging es für ihn in den Krieg gegen die Ukraine. Am 30. Dezember 22 wurde er auf die lange Reise geschickt, am 10. Januar 23 war er bereits tot.
Aber - er hätte wie ein wahrer Patriot gekämpft und sich mutig dem Tod gestellt, schreibt der Bezirksvorsteher. Jetzt gibt es im Heimatdorf eine Gedenktafel und jener Bezirksvorsteher sinniert über den Krieg:
Russland ist erneut gezwungen, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Der Feind wird im Namen unserer heiligen Geschichte, im Namen der Erinnerung an unsere Großväter und Urgroßväter und für zukünftige Generationen definitiv besiegt.
Kein Platz für Sentimentalitäten gibt es im Krieg. Jewgeni Jaruschin aus der Stadt Krasnoufimsk in der Oblast Swerdlowsk hatte sich zwar einen lustigen Alias zugelegt, aber geholfen hat der dann doch nicht. Jewgeni wurde am 24. April an der Front getötet. Was bleibt ist ein nachdenkliches Bild von ihm im Soldatendress mit drei Tulpen in der Hand, das jetzt seinen Nachruf schmückt. Leider ist von der Macht der Blumen (Flower-Power) nicht viel übrig geblieben, die in den 70-iger Jahren auch ein Symbol gegen den Vietnamkrieg war.
Im Süden der Oblast Irkutsk liegt der Bezirk Echirit-Bulagatski mit knapp 30.000 Einwohnern. Etwa 40% der Bevölkerung dort sind Burjaten. Nach seinem Foto gehörte auch Wassili Olegowitsch Borontsoew zu dieser Volksgruppe. Er wurde am 06. Mai 1988 in dem Bezirksdorf Darchat geboren. Sein Lebenslauf wurde im Nachruf holprig geschönt. Nach dem Gymnasium hätte er an der Burjatischen Staatlichen Universität, Abteilung für Geschichte, studiert. Als Abschluss wäre dann der Beruf eines Wachmanns herausgekommen. Einige Jahre hätte er auch in Sicherheitsunternehmen gearbeitet. Danach war er arbeitslos, zog zurück ins Dorf und hat seinen Eltern bei der Haus- und Landarbeit geholfen.
Und obwohl er nie beim Militär war, wollte Wassili auch in den Krieg ziehen und höchstwahrscheinlich schnell viel Geld verdienen. Im November 23 versuchte er es ein erstes Mal und wurde als untauglich wieder nach Hause geschickt. Am 9. Januar 24 klappte es dann mit dem Kriegsdienst. Nach zwei Wochen Ausbildung ging es an die Front. Am 9. Februar war bereits Schluss, die Kugel eines Scharfschützen hatte sein Leben beendet.
Der tote Wassili hatte es nicht eilig nach Hause zu kommen. Dafür war er nicht wichtig genug. Der Leiter des Bezirks konnte den Leichnam auf Bitten der Mutter nach 2,5 Monaten zurückholen.
Aus der Kleinstadt Dalneretschensk ganz im Osten Russlands an der Grenze zu China machte sich Anton Wiktorowitsch Gurdin, geboren am 14. Januar 1986, auf den langen Weg zum Krieg im Donbass. Mit einem Maschinengewehr in jeder Hand und einer Fluppe im Mund hielt er sich wohl für unverwundbar. Am 9. Januar 2024 meldete er sich freiwillig, am 20. März wurde er tötlich verwundet.
"Durch sein persönliches Beispiel inspirierte er die Soldaten immer wieder zu Heldentum und Heldenmut", schreibt die Bezirksverwaltung der Kleinstadt Dobrjanka in der Region Perm über den Tod des russischen Soldaten Igor Wladimirowitsch Gomzin. Er hätte in verschiedenen Organisationen gearbeitet, heißt es weiter, was übersetzt meist nichts Gutes zu bedeuten hat. Aber am 11. Dezember 23 unterzeichnete Igor einen Vertrag beim russischen Militär. Viel Heldentum und Heldenmut konnte er dort auch nicht zeigen. Bereits am 9. Januar 24 war damit Schluss.
28.04.24
Am 21.04.24 wurde im Dorf Totskoe-2 ein weiterer gefallener russischer Sodat beigesetzt - Sergej Aminowitsch Alijew (Foto). Wir hatten schon mehrere Kriegstote aus diesem Ort, denn Totskoe-2 (Tozkoje Wtoroje) ist ein geschlossenes Garnisonsdorf in der Region Orenburg.
Im Moment ist das Dorf Standort der 27. motorisierten Schützendivision, die im Jahr 1991 aus der ehemaligen DDR abgezogen wurde. Damals wurden mit deutschem Geld die neuen Standorte der abziehenden sowjetischen Armee renoviert und ausgebaut.
Der Ort grenzt an einen Truppenübungsplatz mit einer üblen Geschichte.
In den Jahren 1920-1930 testeten die UdSSR und Deutschland hier nach einer inoffiziellen Vereinbarung gemeinsam Gaswaffen.
Am 14. September 1954 wurde auf dem Übungsplatz eine Atombombe gezündet. An der Übung waren 44.000 Mann, mehr als 500 Geschütze und Mörser, bis zu 500 Panzer, etwa 600 gepanzerte Personentransporter, mehr als 300 Flugzeuge, 6.000 Traktoren und Autos beteiligt. Zahlreiche Soldaten wurden verstrahlt und kamen ums Leben.
Alexander Chripuschin, geboren 1985 aus der Region Woronesch, wurde als Söldner der Gruppe Wagner am 24. Februar 23 irgendwo an der Front getötet. Er hätte sich im Januar 23 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Vorher hätte er KFZ-Mechaniker gelernt, 2012 geheiratet und einen Sohn gezeugt, zum Schluss auf dem Bau gearbeitet, heißt es im Nachruf. Eine Kleinigkeit wurde allerdings vergessen:
Im Jahr 2020 wollte Alexander in Woronesch ein Auto stibitzen. Er wurde von der Polizei erwischt, festgenommen und dabei auch genetisches Material von ihm entnommen. Dabei kam man auf eine neue Spur.
Im August 2008 war der damalige 23-jährige Alexander in ein Haus eingedrungen. Er fesselte die Bewohnerin, eine 68-jährige Rentnerin, vergewaltigte und tötete sie. 2021 kam es dann zum Prozess, Alexander Chripuschin wurde zu 17 Jahren Gefängnis in einer Hochsicherheitskolonie verurteilt,
27.04.24
Als Wjatscheslaw Wassiljewitsch Beschenar im Jahr 1986 in Chisinau geboren wurde, gab es die Sowjetunion noch. Doch Chisnau wurde dann die Hauptstadt der unabhängigen Republik Moldau und seine Eltern sind in die Region Brjansk gezogen.
Wjatscheslaw hätte sich als Einzelunternehmer im Personentransport versucht, berichtete die Presse. Übersetzt dürfte das der Beruf eines Taxifahrers gewesen sein. Doch das Unternehmertum war glücklos, ein Schiedsgericht hatte Wjatscheslaw für pleite erklärt.
Als Freiwilliger im Kriegsdienst gegen die Ukraine verdient man so viel Geld, dass man die Schulden wieder vom Hals bekommt. Und in der Zeit an der Front ist man für die Gerichtsvollzieher sowieso sakrosankt. So ging auch Wjatscheslaw zum Militär. Am 1. Dezember 23 verlor man den Kontakt zu ihm, erst am 16. April wurde er bestattet.
Pantelei Alexandrowitsch Wukolow wurde am 8. August 1959 in der damaligen "Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik" geboren und ist irgendwann in die russische Region Twer umgezogen. Warum der Mann in den Krieg ziehen wollte, konnte man den diversen Veröffentlichungen nicht entnehmen. Aber wie so oft, dürfte die sehr gute Entlohnung die Triebfeder gewesen sein.
Dass das russische Militär einen 64-jährigen Mann für den Krieg gegen die Ukraine braucht, dürfte das eigentliche Überraschende sein. Aber dann doch wieder nicht, wenn man den Beitrag von Pantelei zum Kriegsgeschehen betrachtet. Am 29. Januar 2024 schloss er einen Vertrag mit dem Militär, am 25. März wurde er an der Front getötet. Kanonenfutter braucht man immer.
26.04.24
Illarion Alexandrowitsch Tschelowetschkow war ein Absolvent des Waisenhauses „Ostrowok“ aus dem Kemerowo Dorf Maly Korchugan. Wie so viele Waisen landete auch er im russischen Krieg gegen die Ukraine. Begraben wurde er am 17. April 24 in der nahen Kleinstadt Topki. Er wäre ein freundliches, aufgewecktes Kind gewesen, schreibt eine ehemalige Mitarbeiterin des Waisenhauses in den Kommentaren. Persönliche Daten - Fehlanzeige, mehr muss man auch nicht wissen.
24.04.24