Die Veröffentlichung jener russischen Zusammenstellung der menschlichen und technischen Verluste in den ersten acht Monaten des Jahres 2025 blieb in den Diskussionsforen der sozialen Medien nicht unwidersprochen. Prominentester Kritiker jenes angeblich geleakten Papiers war das russische Exilmedium "Mediazona", das zusammen mit der BBC wie wir die russischen Verluste an Soldaten dokumentiert. Dieser Kritik schlossen sich eine Vielzahl von Diskutanten an, die das veröffentlichte Papier als Fake-News abtaten.
Ob das Papier tatsächlich aus russischer Quelle stammt oder ob es sich um ein Machwerk der ukrainischen Gegenpropaganda handelt, können wir nicht gänzlich herausfinden. Was wir können, ist festzustellen, ob die im Papier genannten Zahlen uns plausibel erscheinen und ob das Dokument in sich stimmig ist.
Mediazone kritisierte folgende Punkte:
- Im Dokument gäbe es eine auffallende Häufigkeit der Zahlen 0 und 5, die nach dem Benfordschen Gesetz in empirischen Datensätzen nicht so häufig vorkommen würden. Der Grund dafür könnte allerdings sein, dass die Meldungen durch die Verfasser in den russischen Einheiten gerundet worden wären.
- Im Papier melden drei Einheiten genau 182 Todesfälle. Auch hier könnte es eine einfache Erklärung dafür geben.
- Das Dnepr-Regiment hat mehr als 5.000 Kriegstote gemeldet. Dabei wäre jene Einheit im Berichtszeitraum nicht bei wesentlichen Sturmangriffen beteiligt gewesen. Die Zahl wäre folglich unnatürlich hoch.
- Was die Gesamtzahl der Toten und Vermissten betrifft, so erscheinen die Zahlen plausibel, vorsichtig ausgedrückt, wenn auch am oberen Ende der wahrscheinlichen Spanne.
Den eigentlich entscheidenden dritten Punkt ihrer Kritik musste Mediazona dann schnell wieder zurückziehen. Denn die russische Dnepr-Einheit war durchaus für Frontabschnitte zuständig, an denen heftig gekämpft wurde.
Ein weiterer oft genannter Kritikpunkt war, dass russische vertrauliche Papiere ein völlig anderes Aussehen hätten und meist mit zahlreichen Stempeln und Leseberechtigungen markiert wären. Das mag stimmen, das Argument ist aber irrelevant. Natürlich werden solche geleakten Daten auf neutrales Papier übertragen, um den/die Informanten zu schützen.
Um die Plausibilität jenes russischen Papiers zu überprüfen, haben wir unsere Tabelle von Ende August mit den neuen im Papier genannten Zahlen aktualisiert. Ein besonderer Fall sind jene vermissten russischen Soldaten, über die wir keine Kenntnis hatten und haben. Wir nehmen an, dass als vermisst Soldaten aufgezählt werden, über deren Verbleib der Einheit nichts bekannt ist. Das können folglich getötete Soldaten, Deserteure oder Kriegsgefangene sein. Die meisten jener Vermissten liegen voraussichtlich in der Todeszone zwischen den russischen und ukrainischen Stellungen und sind einfach tot. Wir haben folglich in einer zweiten Addition die vermissten und toten Soldaten zusammengefasst.
| Ermittelte Kriegstote |
Geschätzte Gesamtzahl |
Geschätzte Verletzte |
Gesamt- verluste |
|
| Unsere Statistik zum 31.12.2024 | 91.569 | 153.000 60% erfasst |
534.000 3,5 Verletzte pro Toten |
687.000 |
| Unsere Statistik zum 31.08.2025 | 133.823 | 223.000 60% erfasst |
781.000 3,5 Verletzte pro Toten |
1.003.000 |
| Zuwachs bis 1.09.25 | 42.030 | 70.000 | 247.000 | 317.000 |
| Tatsächliche Zahl Kriegstoter laut Dokument |
Tatsächliche Zahl Verletzter laut Dokument |
|||
| Ukrainische Armeeführung (31.08.2025) |
290.000 | |||
| Von ukrainischer Initiative veröffentlichtes russisches Dokument 01/25 bis einschl. 08/25 |
86.744 inkl. Vermisster 120.710 |
158.529 158.529 |
245.273 279.239 |
|
Fazit:
Die obige Tabelle zeigt zumindest, dass die genannten Zahlen sich als plausibel darstellen.
Wenn es sich dabei um original russische Zahlen handelt, dann sind diese natürlich höchst aktuell und damit weit aktueller als die von uns erfassten Daten. Es dauert nämlich eine ganze Zeit, bis all die Todesmeldungen in den russischen Medien auftauchen und schließlich von uns registriert werden.
| Erfasste Kriegstote im Jahr 2025 |
|
| Januar | 5.360 |
| Februar | 5.578 |
| März | 5.018 |
| April | 3.894 |
| Mai | 3.245 |
| Juni | 4.592 |
| Juli | 7.084 |
| August | 7.224 |
| September | 8.626 |
| Summe 2025 | 50.621 |
| Durchschnitt Monat | 5.625 |
Wenn man jetzt miteinbezieht, dass wir im Monat September 2025 die höchste Anzahl an Kriegstoten seit Beginn des Krieges erfasst haben, dann sind die im Papier genannten Zahlen auch nicht - am oberen Ende der wahrscheinlichen Spanne - sondern die Verluste, die wir in den kommenden Monaten als durchschnittlich erfassen werden. In Zahlen bedeutet das zwischen 11.000 und 15.000 Kriegstote pro Monat, wenn die russische militärische Aktivität gleich bleibt. Da wir nur angenommene 60% aller Kriegstoten erfassen, würde das Werten zwischen 6.000 und 8.000 von uns registrierten russischen Gefallenen entsprechen.
Ein weiteres Fazit aus der veränderten Lage an der Front sind unsere Schätzungen der Verletzten. Bisher gehen wir davon aus, dass auf einen Kriegstoten etwa 3,5 Verletzte kommen. Dieses Verhältnis wird in Zukunft geringer ausfallen müssen. Die Initiative "Ich will finden" schreibt dazu:
Ebenfalls sehr aufschlussreich ist das Verhältnis der Verluste. Aufgrund des Fehlens eines normalen Systems zur Evakuierung von Verwundeten vom Schlachtfeld kommen auf einen Gefallenen nur 1,3 verwundete Soldaten. Dies zeugt von einer geringen Überlebensrate der Verwundeten, die nur unzureichend in taktischer Medizin ausgebildet sind und nach einer Verwundung in der Regel ohne Hilfe zurückgelassen werden.
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