Das Azur-Window ist Anfang 2017 eingestürzt, zwei Jahre später ist auch die Regierung Maltas am Rande des  Absturzes. Denn der Mittelsmann am Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia hat umfassend öffentlich vor Gericht ausgesagt. Er hatte die Mörder beauftragt und auch die Bezahlung arrangiert. Dafür bekam er Straffreiheit von der Regierung zugesagt - für dieses und eine Vielzahl anderer Verbrechen. Mit seiner Aussage lässt sich der Ablauf des Mordkomplotts fast lückenlos nachvollziehen und offenbart die Verstrickung der sozialdemokratischen Regierung in ein korruptes Netzwerk von Politik und maltesischem Großkapital.

Die mutmaßlich handelnden Personen im Mordkomplott:

Yorgen FenechYorgen Fenech, Auftraggeber des Mordes
Fenech ist einer der reichsten Männer Maltas. Er war bis kurz vor seiner Verhaftung Chef der Tumas Group, ein Familienunternehmen benannt nach seinem Großvater Tumas Fenech. Die Firma besitzt mehrere Hotels, darunter auch das Hilton Malta, teure Geschäftsimmobilien wie z.B. das höchste Gebäude Maltas, mehrere Spielcasinos, verwaltet den Hafen von Valletta und ist an Electrogas Malta beteiligt. Yorgen Fenech gehörte auch jene mysteriöse Firma „17 Black“, über die aserbaidschanisches Schwarzgeld geflossen sein soll. Fenech soll über einen längeren Zeitraum Kokain abhängig gewesen sein.

KeithSchembriKeith Schembri, Verbindungsmann zur Regierung
Schembri war Stabschef des maltesischen Ministerpräsidenten. Er trat im Zuge der aktuellen Ermittlungen zurück. Vorher war er ein erfolgreicher Unternehmer. Er handelte mit Papier, Druckereibedarf, Getränkemarken, Restaurants und Luxusmöbel.
Schembri war maßgeblich für den Erfolg der maltesischen Laborparty bei den letzten Wahlen verantwortlich und war ein persönlicher Freund des Ministerpräsidenten. Daneben war er Besitzer einer panamesischen Firma namens „Tillgate“, die angeblich 5.000€ pro Tag via „17 Black“ bekommen sollte.
Schembri gilt auch als enger Freund von Yorgen Fenech.

MelvinTheumaMelvin Theuma, der Mittelsmann
Eigentlich verdient Melvin Theuma sein Geld als Taxifahrer. Allerdings mit einem exquisiten Standort am Hilton Hotel in Malta, zu dem insgesamt nur zehn Taxifahrer Zugang haben. Daneben war Theuma noch Betreiber einer illegalen Lotterie und Kredithai. Auch soll er über gute Verbindungen zur maltesischen Unterwelt verfügen.
Mit Yorgen Fenech war er befreundet und war mit ihm im Urlaub.

degiorgio brothersDie Degiorgio Brüder, die Mörder
Die beiden Brüder gehören zu einer kriminellen Gang Maltas. Anführer der Gruppe ist George Degiorgio, bekannt in der Unterwelt unter seinem Alias “Ic-Ciniz” (Der Chinese). Sein Bruder Alfred war dort unter dem Nick „Il-Fulu” (Die Bohne) bekannt. Beide stehen wegen Geldwäsche vor Gericht, hatten kein geregeltes Einkommen, dafür aber jede Menge Bargeld, teure Autos und Yachten.

 VinceMuscatWebVince Muscat, der Handlanger
Vincent Muscat (genannt il-Koħħu, der Vetter) ist nicht verwandt mit dem Premierminister Joseph Muscat, gehört aber zum kriminellen Milieu Maltas. Der Polizei war er bisher nur durch kleinere Gaunereien aufgefallen, wie den Import von verbotenen Vogelarten. Nach einem Jahr Haft war er weichgeklopft und hat als Einziger der drei Mörder Aussagen zum Tathergang gemacht.


Der Mordauftrag

Im April 2017 bekommt Melvin Theuma von seinem Freund Yorgen Fenech einen Anruf. Fenech fragt, ob Theuma einen gewissen „George, den Chinesen“ kennen würde. Er solle doch Kontakt mit jenem Mann herstellen, denn es ginge darum, die Journalistin Daphne Caruana Galizia zu töten. Denn die wolle Informationen über seinen Onkel Ray verbreiten.

busy beeZwei Tage später traf sich dann Theuma mit Alfred Degiorgio in der Konditorei "Busy Bee" in Msida (Foto links TripAdvisor). Bei einem Espresso wurde der Preis für das Attentat vereinbart. Die beiden einigten sich auf die Summe von 150.000 €, davon 30.000 sofort und 120.000 nach vollzogenem Mord. Sollte der Mordauftrag zurück gezogen werden, würden die 30.000 Euro nicht zurück gezahlt. Der eigentliche Auftraggeber blieb im Dunkeln. Theuma informierte danach den Unternehmer Fenech, der sich später melden wollte.

Money for nothing

320px Castille at nightWenige Tage später erhält Theuma wieder einen Anruf des Unternehmers. Er informierte ihn, dass er aus dem Amt des Ministerpräsidenten einen Anruf erhalten wird. Der kam tatsächlich, Theuma wurde einen Tag später in die „Auberge de Castille” eingeladen, dem Sitz des maltesischen Ministerpräsidenten (Foto rechts von Lourdesphotography, CC BY-SA 4.0) . Dort hatte er einen Termin mit Keith Schembri.

Nach einem kurzen Gespräch hatte Melvin Theuma einen Job bei der Regierung. Auf seine Einlassung, dass er ja bereits als Taxifahrer einen guten Beruf hätte, wurde ihm bedeutet, dass er bei seiner Regierungsanstellung überhaupt nicht erscheinen müsse.

Hü und hott im Mordkomplott

Im Mai 2017 kündigte Ministerpräsident Joseph Muscat Neuwahlen an. Wieder meldet sich der Unternehmer Fenech beim Mittelsmann und bat ihn, das geplante Attentat abzusagen. Obwohl Theuma noch keinen Auftrag zur Ermordung der Journalistin erteilt hatte, traf er sich erneut mit Alfred Degiorgio in der Konditorei. Damit es keinen Streit gab, überreichte er ihm 1500 €.

Die Arbeiterpartei gewann dann im Juni 2014 erneut die Wahlen. Yorgen Fenech hatte auf deren Sieg gewettet, 150.000 € gesetzt und gewonnen. Melvin Theuma musste seinem Freund einen Gewinn von 300.000 € auszahlen. Kurze Zeit später bekam er den erneuten Auftrag, jetzt den Mord an der Journalistin einzuleiten.

Melvin zögerte zunächst, den Mordbefehl weiterzuleiten. Doch zwei Wochen später erhielt er von Yorgen Fenech einen Umschlag mit den geforderten 150.000 Euro. Wie der “Zufall” es will, waren jene 150.000 € genau die Summe, die der Tycoon Fenech beim Wetten gewonnen hatte. Und ab jetzt sollte es schnell gehen. Der Mittelmann leistete die geforderte Anzahlung an die Degiorgio-Brüder.


Daphne Galizia Caruana wird ausgespäht

In Malta sind viele Häuser mit einer hohen Mauer umgeben, auch das von der Familie der Journalistin in Bidnija (Foto unten: Alan C. Bonnici, CC BY-SA 3.0) . Es ist also nicht einfach, jemanden von außen zu beobachten. Das Mörder-Trio spähte alle Bewegungen der Journalistin aus und beschattete ihr Auto. Dazu besorgten sich die Männer ein Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr, mit dem sie den Mordanschlag durchführen wollten.

Bidnija Mosta Malta panoramioTatsächlich entdeckte das Trio ein Fenster im Haus, das von einem höheren Punkt aus von außen einsehbar war und an dem die Journalistin saß, wenn sie an ihrem Laptop arbeitete. Sie platzierten Sandsäcke auf einer Mauer, um einen ruhigen Schuss abgeben zu können. Doch der Plan wurde schließlich aufgegeben, er erschien ihnen zu schwierig in der Durchführung.

Stattdessen verlegte sich das Trio auf einen Bombenanschlag. Die Bombe samt Equipment wurde über dunkle Kanäle in Malta von der italienischen Mafia besorgt und sollte in ihrem Auto deponiert werden. Doch auch dabei gab es Probleme. Die Journalistin war häufig unterwegs oder flog ins Ausland. Zudem parkte sie das Auto im Innenhof ihres Anwesens, geschützt durch eine Mauer und einen Wachhund.

Die Bombe geht hoch

So dauerte es bis Mitte Oktober bis sich eine Gelegenheit ergab. Am Abend des 15. Oktober 2017 bemerkten die Degiorgio-Brüder und Muscat, dass das Auto der Journalistin außerhalb des Anwesen auf der Straße geparkt war. Ihr Sohn hatte es dort abgestellt.

In den frühen Morgenstunden des 16. Oktobers wurde das Attentat dann vorbereitet. George Degiorgio überwachte die Aktion von einem höher gelegenen Punkt aus, Muscat stand Schmiere in der Gasse vor ihrem Haus und Alfred Degiorgio hebelte das Heckfenster des Autos auf der Beifahrerseite auf, kroch in den Wagen und platzierte die Bombe unter dem Fahrersitz.

Gegen 15:00 Uhr bestieg dann die Journalistin Daphne Caruana Galizia ihr Auto, nach kurzer Strecke explodierte die Bombe. George Degiorgio war zu dieser Zeit auf einer Yacht im Hafen von Valletta und hatte per SMS über ein Wegwerfhandy die Bombe ausgelöst. Die Explosion war so heftig, dass das Auto über eine Mauer in ein angrenzendes Feld geschleudert wurde. Die Journalistin war sofort tot. Zehn Tage nach dem Attentat übergab der Mittelsmann Melvin Theuma die restlichen 120.000 € an Alfred Degiorgio.


Wer erhält die "Sie kommen aus dem Gefängnis frei"-Karte?

Sieben Wochen nach dem Attentat nahm die Polizei die beiden Degiorgio-Brüder und Vince Muscat fest. Man war ihnen über ihre Handydaten und das die Bombe auslösende SMS auf die Spur gekommen. Sie waren zuvor von Melvin Theuma gewarnt worden. Der hatte diese Information von Yorgen Fenech erhalten und der wiederum war aus dem Büro des Ministerpräsidenten gewarnt worden.

Die Degiorgio-Brüder schweigen bis heute, leisten sich aber teure Rechtsanwälte. Auch hier kommt das Geld nach Aussage von Melvin Theuma von Yorgen Fenech. Sie sind weiterhin in Haft.

Vince Muscat dagegen packte nach knapp einem Jahr gegenüber den Ermittlern aus. Er beantragte eine Begnadigung für seine umfassende Aussage. Diese wurde ihm nicht gewährt. Auch er befindet sich in Haft.

Melvin Theuma wurde wegen Geldwäsche im Oktober 2019 festgenommen. Man fand in einem Versteck in seinem Haus zwei Millionen Euro Bargeld. Gegen eine umfassende Amnestie, die alle seine anderen Verbrechen mit einschließt, war er bereit, als Kronzeuge im Mord an der Journalistin auszusagen. Die Amnestie wurde ihm vom Ministerpräsidenten gewährt.

Yorgen Fenech wurde bei der Flucht auf seiner Yacht am 20.11.2019 verhaftet, wieder frei gelassen, erneut verhaftet, wieder freigelassen und sitzt jetzt wieder in Haft, nachdem eine Anklage gegen ihn eingereicht wurde. Fenech hat ebenfalls eine Amnestie beantragt, er will umfassend gegen die nach seinen Angaben eigentlichen Auftraggeber in der Regierung aussagen. Diese wurde ihm vom Kabinett und dem Ministerpräsidenten nicht gewährt.

Keith Schembri ist als Kabinettschef am 26.11.2019 zurück getreten. Er wurde verhaftet, blieb zwei Tage im Gefängnis und wurde danach wieder frei gelassen. Eine Anklage liegt noch nicht vor.

Woher stammen all diese Informationen?

Dieser Beitrag wurde auf Basis der Aussagen von Melvin Theuma vor Gericht verfasst. Der Mittelsmann hat dafür Straffreiheit vom Ministerpräsidenten Maltas zugesagt bekommen, vorausgesetzt er beschreibt alle Vorgänge vollständig und nach bestem Wissen. Zusätzlich ist das Zeugnis von Vince Muscat eingeflossen, der in der Haft umfassend zum Ablauf des Mordkomplotts ausgesagt hat. Ihm wurde eine Amnestie verweigert.