Wie Russen durch die Hand von Kriegsheimkehrern ums Leben kommen

Ilja Bykow Dieser Beitrag besteht aus zwei Teilen. Zunächst der Artikel von Oknopress über die Morde von Kriegsteilnehmern, die von der Front nach Hause zurückgekommen sind. Oknopress beleuchtet dabei vier von einander unabhängige Fälle.

Im zweiten Teil dokumentieren wir die 138 Kommentare auf einen Beitrag im russischen Odnoklassniki (Klassenkameraden), der sich ebenfalls auf  einen der vorgestellten Fälle bezieht - den Tod von Ilja Bykow. Die Kommentare geben ganz gut die Spannbreite des Denkens der russischen Bürger wieder. Diese mussten bei kritischen Kommentaren in diesem Zusammenhang keine Rücksicht darauf nehmen, eventuell wegen Diskreditierung der russische Armee belangt zu werden.

Das Grab von Ilja Bykow

Koltsowo Biopark

Bau eines Biotechnoparks in Koltsowo, Gebiet Nowosibirsk -- Foto: K.Artem.1 -- Lizenz:  CC BY-SA 4.0

An der Stadtgrenze von Nowosibirsk liegt die Stadt Koltsowo, die sich stolz Wissenschaftsstadt nennt. Der Grund dafür ist ein dort angesiedeltes staatliches Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie. Um dieses Biolaboratorium herum haben sich zahlreiche Start-Ups gebildet. Zudem gibt es Unternehmen, die sich mit der Herstellung von Naturkosmetik, Tierarzneimitteln, Diabetesprodukten und Software beschäftigen. Koltsowo wächst schnell und hat heute rund 21.000 Einwohner. 

Am 12. April 25 eröffnete die Partei "Einiges Russland" eine temporäre Gedenkstätte für die getöteten Soldaten der Stadt im Krieg gegen die Ukraine.

Ermolino 6

Ermolino (Jermolino) ist ein Dorf in der Oblast Nowgorod mit etwa 1.300 Bewohnern. Es liegt nur etwa 7 km Luftlinie von Weliki Nowgorod entfernt, der Hauptstadt der Oblast. Man kann also davon ausgehen, dass manche der Kriegstoten aus der Großstadt in dieser ländlichen Umgebung bestattet werden. Weliki Nowgorod hat im Jahr 2025 rund 223 Tausend Einwohner, für die gesamte Oblast haben wir eine überdurchschnittliche Anzahl an Kriegstoten ermittelt.

Wir haben über diesen Friedhof schon mehrfach berichtet - er dokumentiert eindrucksvoll die wachsende Anzahl an gefallenen Soldaten aus der Region. Unser erster Bericht war vom Dezember 2023  (ab Pos. 215) (Foto), danach im April 2024 (Foto), im September 2024 (Foto), im November 2024 (Foto) und zuletzt am 3. Februar 25 (Foto).

Seit dem letzten Bericht sind 39 weitere Soldaten hier begraben, der Ehrenfriedhof ist jetzt auf 140 Gräber angewachsen. Die hier veröffentlichten Daten stammen vom 9. April 2025.

Den Familien gefallener russischer Soldaten wird verboten, die Särge zu öffnen

Belebei Alexej Dmitrijewitsch Tschwertkow

Angehörige einiger im Ukraine-Krieg gefallener russischer Soldaten begraben Menschen, die sie nicht kennen – ohne DNA oder Ausweise. Man verspricht ihnen, später ein Dokument mit einem ärztlichen Attest oder persönliche Gegenstände zu bringen, aber das geschieht nicht. Direkt in den Bestattungsbüros drohen Militärangehörige den Angehörigen, die auf einer Öffnung bestehen: „Wenn Sie sich widersetzen, werden wir ein Strafverfahren gegen Sie einleiten!“

 Michael Iwanowitsch GiesbrechtDer junge Mann auf dem Foto ist Michael Iwanowitsch Giesbrecht. Er wurde am 25. November 1999 in Deutschland geboren. Seine Familie ist nicht in Deutschland geblieben und zog zurück nach Russland in die Region Altai. Michael wurde im Herbst 2022 mobilisiert, im Krieg getötet und am 7. April 2025 im Dorf Nowokulindinka im Bezirk Blagoweschtschensk beigesetzt. Er ist einer von den 26 deutsch klingenden Namen, die wir bei einer oberflächlichen Suche unter den Kriegstoten des Monats Mai 2025 gefunden haben.

Für uns hat das Thema nichts mit Deutschtümelei zu tun, sondern wir sehen das Schicksal der über Tausend im Krieg gegen die Ukraine getöteten Russlanddeutschen mit der selben Brille, mit der wir auch andere ethnische Minderheiten sehen, die für die russische Welt in jenem verbrecherischen Krieg sterben und über die wir genau so regelmäßig berichten.

Nowotitarowskaja

Gerade sind wir in Nowotitarowskaja, eine große Staniza (Kosakensiedlung) in der Region Krasnodar. Ein Autor des Telegramkanals "Tituschki in Krasnodar" hat dieses Foto aufgenommen. Er schreibt dazu:

Als die Angehörigen das Grab von Wladislaw Schukow besuchten, landete die Geheimdienstflagge im Müll. Das Auto der Angehörigen während der Beerdigung auf dem Foto.

Arsenjew

Blick auf Stadt Arsenjew -- Foto: Andshel  -- Lizenz: CC BY-SA 3.0

Dieser Beitrag stammt eigentlich vom 9. April 2024, wir haben ihn mehrfach aktualisiert. Wenn man die Namen und die Kurzlebensläufe der getöteten Soldaten durchgeht, bekommt man einen guten Überblick,  aus welchen Bevölkerungsgruppen die meist freiwilligen Soldaten stammen.

Die Stadt Arsenjew liegt in der Region Primorje im Fernen Osten Russlands und hat knapp 50.000 Einwohner mit abnehmender Tendenz. Von der Hauptstadt Wladiwostok ist sie etwa 300 km entfernt. Wichtigster Arbeitgeber der Stadt ist die Hubschrauberfabrik "Progress", die hauptsächlich für das russische Militär arbeitet.

Trotz der großen Entfernung (9.000 km Fahrstecke, Luftlinie über 7.000 km) wurden nicht wenige Bürger von Arsenjew im Krieg gegen die Ukraine getötet. Insgesamt haben wir 103 gefallene Soldaten aus der Stadt gelistet.

  • Aktualisiert am 20.07.24: Vier Namen nachgetragen -- Aleksey Leonidowitsch Ewgrafow, Pawel Aleksejewitsch Schukow, Maxim Jewgenjewitsch Laletin und Dmitri Anatoljewitsch Lapin.
  • Aktualisiert am 02.02.25: 85 gefallene Soldaten.
  • Aktualisiert am 11.06.25: 103 Tote

Ust Kust 05.06.2017

Schöner Wohnen in Ust-Kust, Rebrowa-Denisowa Straße 11 -- Foto: Artem Swetlow -- Lizenz:  CC BY 2.0

Dies ist bereits unser dritter Bericht über die gefallenen Soldaten aus Ust-Kut. Wir hatten am 1.10.23 und am 22.06.24 über die Stadt in der Region Irkutsk berichtet. Basis unserer damaligen Informationen war ein VKontakte-Kanal, der aber danach gelöscht wurde. Jetzt gibt es eine neue Zusammenstellung zum 1. April 2025.

Ust-Kut liegt 510 km nördlich von Irkutsk am Zusammenfluss der Lena und Kuta. Die Lena ist einer der längsten Flüsse der Erde, sie fließt ins Nordpolarmeer. Von Oktober bis Juni ist sie zugefroren, ab Ust-Kut ist sie schiffbar. Die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt in Sibirien, hier werden Güter zwischen Fluss, Straße und Bahn verschoben. Und Ust-Kut hat aiuch schon bessere Tage gesehen. Im Jahr 1992 lebten noch 62.000 Menschen in der Stadt, 2021 wurden nur noch 36.918 Bewohner gezählt.

Bis zum 1. April verzeichnet die Stadt 124 gefallene Soldaten, die Zahl hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt.

Oljokminsk

Blick auf Oljokminsk an der Lena -- Foto: A. L. (loading)  -- Lizenz:  CC BY-SA 4.0

Oljaminsk ist eine Kleinstadt in Jakutien (Sacha) mit rund 8.500 Einwohnern. Sie liegt an der Lena, einer der längsten Flüsse der Erde. Das Klima dort ist stark kontinental  geprägt mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von rund -5° Celsius. Die Stadt ist Zentrum eines Landwirtschaftsgebietes mit Getreide und Genüseanbau und der Zucht von Pferde und Rindern.

Aus der Stadt kam auch Dmitri Anatoljewitsch Golowanow, der im September 2024 in den Krieg gegen die Ukraine zog und am 3. April 2025 getötet wurde. Am 1. Juni soll er beigesetzt werden. Wir geben den Nachruf der Bezirksverwaltung im übersetzten Originaltext wieder und fügen danach noch ein paar Details zu seinem Lebenslauf hinzu:

Wir haben über den Fall von Alexej Wachruschew (Video links) bereits hier berichtet. Alexej ist ein 22jähriger geistig behinderter Mann aus dem Dorf Tschernowskoje in der Region Perm. Er kann nicht rechnen, hält keinen Abstand, benutzt unflätige Ausdrücke, kann auch schlagen, aber kann nicht für sich selbst einstehen. Alexej wurde wahrscheinlich ein erfundener Diebstahl untergeschoben und ihm danach erklärt, dass er nicht in das Gefängnis käme, wenn er einen Vertrag mit dem russischen Militär abschließen würde.

Alexej diente zunächst in der Region Tscheljabinsk und fand sich dann an der Front wieder. Er wurde geschlagen, misshandelt und von seinem Kommandeur persönlich mit Vergewaltigung bedroht. Alexej konnte fliehen, wurde aber zurückgebracht und erneut in den Krieg geschickt. Im Februar 2025 verschwand er. Im März erfuhr seine Mutter, dass ihr Sohn erneut geschlagen, mit Heizöl übergossen und mit dem Verbrennen bedroht worden war. Also war er wieder weggelaufen.

Dalneretschensk Lenin Straße

Dalneretschensk Lenin Straße  -- Foto: Undshel  -- Lizenz: CC0

Wieder einmal befinden wir uns im Fernen Osten Russlands in der Region Primorje. Etwa 400 km nördlich der Hauptstadt Wladiwostok nahe der Grenze zu China liegt die Stadt Dalneretschensk. Die Stadt und der Landkreis haben zusammen rund 25.000 Bewohner mit abnehmender Tendenz.  Dalneretschensk besitzt einen Bahnhof an der Transsibirischen Eisenbahn. Die Wirtschaft wird durch die Holzverarbeitung bestimmt, ansonsten ist nicht viel los in der Region.

Dafür sterben reichlich Bürger der Stadt im ganz fernen Krieg gegen die Ukraine. Eine örtliche Initiative will denen ein Denkmal errichten und hat deshalb die Kriegstoten in einem Film zusammengefasst. Insgesamt 129 gefallene Soldaten haben wir in jenem Film gezählt, 21 Namen waren uns bisher unbekannt. Wir dokumentieren den Beitrag auf Telegram vom 23.03.25 und das dazugehörige Video:

Antoni Sawtschenko

Beisetzung von Antoni Sawtschenko

Im Mai wurden im Krieg gegen die Ukraine zwei russische orthodoxe Priester getötet - Antoni Sawtschenko, geboren 1992, und Sergej Waida, geboren 1980. Beide begnügten sich nicht als spiritueller Beistand der Soldaten zu wirken, sondern waren an vorderster Front dabei und haben wahrscheinlich an den Kämpfen mitgewirkt - das zumindest legen die Berichte nahe.

Antoni Sawtschenko wurde durch eine HIMARS-Rakete getötet, Sergej Waida durch eine Drohne. In den russischen Medien werden über beide Priester Heldengeschichten erzählt, von denen man kein Wort glauben sollte. Sergej Waida war Vater von 11 Kindern und steht im Verdacht, bei der Besetzung der Region Cherson durch russische Truppen alle verwertbaren Gegenstände eines größeres Anwesens gestohlen zu haben.

Die Unterstützung des russischen Angriffskrieges durch die russischen orthodoxen Kirche entlarvt deren Verwendung von Begriffen wie Erlösung, Glauben, Liebe und Hoffnung als bloßes Geschwurbel. Wir dokumentieren die beiden Berichte über die Priester im übersetzten Originaltext.

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